Generalanwalt beim EuGH: Kein Europäische Ermittlungsanordung durch Steuerfahndung
Mit seinem Schlußantrag vom 11.03.2021 hat der Generalanwalt beim EuGH in der Rechtssache C-66/20 den Allmachtsphantasein deutscher Steuerfahnder einen deutlichen Dämpfer verpasst.
Gegenstand der Rechtssache ist die Frage, ob die Steuerfahndung als Teil der Finanzverwaltung berechtigt ist, eigenständig und ohne Beteiligung eines Gerichts oder der Staatsanwaltschaft eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) zu erlassen.
Nach § 386 der Abgabenordnung (AO) ist das Finanzamt berechtigt, bestimmte Ermittlungsverfahren wegen Steuerstraftaten selbstständig durchzuführen, wobei das Finanzamt diejenigen Rechte und Pflichten wahrnimmt, die auch der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zustehen; § 399 Abs. 1 AO.
Im zugrundeliegenden Fall hatte sich das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Münster mit einer EEA an die Ermittlungsbehörden in Triest gewandt, um die Durchsuchung der Geschäftsräume eines der Steuerhinterziehung Verdächtigen zu erwirken. Unterzeichnet war die Anordnung von dem Behördenleiter.
Die italienische Staatsanwaltschaft hat die EEA nicht akzeptiert und forderte eine entsprechende Bestätigung durch die Staatsanwaltschaft oder ein Gericht. Hierbei beriefen sich die italienischen Ermittlungsbehörden auf die Richtlinie 2014/41, die besagt, dass eine EEA nicht nur von von einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft getroffen und erlassen werden kann, sondern auch jeder anderen Behörde, soweit diese in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist. Wird jedoch eine andere Behörde in diesem Sinne tätig, ist eine Überprüfung durch eine Gericht oder die Staatsanwaltschaft erforderlich.
Die Staatsanwaltschaft Triest vertritt die Auffassung, dass es sich bei der Steuerfahndung um eine solche „andere Behörde“ handelt und es daher zur Wirksamkeit der EEA einer Bestätigung durch ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft bedurft hätte. Die Finanzverwaltung meint indessen, sie sei aufgrund der Relegungen der AO der Staatsanwaltschaft gleichgestellt.
In seinem Schlußantrag vom 11.03.2021 hat der Generalanwalt beim EuGH dieser Allmachtsphantasie der Steuerfahndung einen klaren Dämpfer erteilt.
Im Ergebnis sei die Steuerfahnung -wenn auch mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet- immer noch ein Teil der Verwaltung. Die Übertragung bestimmter Befugnisse der Staatsanwaltschaft auf die Finanzverwaltung führe nicht dazu, dass sie hierdurch zur Justizbehörde im Sinne der Richtline 2014/41 werde. Nur eine Solche könne aber die Beurteilung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit derartiger Maßnahmen durchführen.
Auch, wenn die besondere Sachkompetenz der Finanzämter den deutschen Gesetzgeber veranlasst habe, diese aufgrund der hohen Spezialisierung im Bereich der Verfolgung von Steuerstraftaten mit entsprechenden Befugnissen zu betrauen, reiche diese Spezialisierung nicht aus, um den Finanzämtern im Rahmen der Richtlinie 2014/41 die Perspektive oder, allgemeiner, die Kompetenz zuzuerkennen, die die Abwägung von Rechten und Interessen vor der Entscheidung über den Erlass einer EEA erfordert.
Dies sind deutliche Worte; sagen sie doch nichts anderes, als dass die Finanzverwaltung -insbesondere aber die Steuerfahndung- sich eine Sachkompetenz anmaßt, die ihre aufgrund ihrer ureigensten Aufgaben nicht zusteht und für die ihr die notwendige Sachkenntnis fehlt.
Die maßlose Selbstüberschätzung -verbunden mit häufiger Kompetenzüberschreitung- vieler Steuerfahnder ist in der Parxis nichts Neues, hält man sich doch aufgrund der steuerrechtlichen Fachkenntnisse für schlauer als das Gericht oder auch die Staatsanwaltschaft. Tatsächlich fehlt es aber an dem notwendigen juristischen Weitblick, um die Konsequenzen staatlichen Handelns vor dem Hintergrund der Wahrung verfassungsmäßiger Rechte des Beschuldigten richtig zu erkennen und zu würdigen.
Ob allerdings die Validierung einer EEA durch ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft hier erhebliche Besserungen verspricht, bleibt anzuzweifeln. Tatsächlich winken Gerichte und Staatsanwaltschaft – vertrauend auf die vermeintlichen Spezialkenntnise der Finanzverwaltung – Beschlussentwürfe, die in der Regel aus der Feder der Steuerfahndung stammen, ungerprüft durch und degradieren sich damit selbst zum willigen Schreibknecht der Verwaltung.
In jedem Fall gilt es, bei Ermittlungsmaßnahmen der Steuerfahndung ständig alarmiert zu sein und sich der Hilfe eines in Steuerstrafsachen spezialisierten Verteidigers zu bedienen, der auch über den Tellerrand hinausschauen kann. Wegen der oft existientiellen Folgen kann einem solchen Verfahren nicht genug Aufmerksamkeit gezollt werden.
RA Georg H. Amian als Fachanwalt für Steuerrecht und versierter Verteidiger in Steuerstrafsachen mit über 20 Jahren Erfahrung berät und vetritt Sie gern!
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EuGH sprengt Kreditverträge zwischen 2010 und 2016 – meist Widerruf möglich
Mit Urteil vom 26.03.2020 -Aktenzeichen C-66/19- hat der Europäische Gerichtshof mit ungewöhnlicher Deutlichkeit die Verbraucherrechte bei Kreditverträgen gestärkt.
Betroffen sind in erster Linie nach dem 11.06.2010 bis März 2016 abgeschlossene Kreditverträge zur KfZ- oder Immobilienfinanzierung. Diese Verträge enthalten in der Widerrufsklausel eine Formulierung, die pauschal auf die in § 492 Abs. 2 BGB aufgeführten Pflichtangaben verweist. Konkret hieß es: „Die Frist (für den Widerruf des Immobiliendarlehens) beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nach dem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (…) erhalten hat“.
Der EuGH hat die Klausel als verbraucherrechtswdirig erachtet, da der Verbraucher gewzungen ist, sich mit § 492 Abs. 2 BGB, der auf weitere Vorschriften verweist („Kaskadenverweisung“), auseinanderzusetzen und eine juristische Subsumption durchzuführen – dies sei einem Verbraucher jedoch nicht zumutbar.
Im Ergebnis wird eine unglaubliche Vielzahl von Verträgen hiervon betroffen sein, da es sich zu dieser Zeit um eine gebräuchliche Standardformulierung handelte, so dass die Banken nun mit einer Widerrufswelle rechnen dürfen.
Erstaunlich ist auch, dass der EuGH sich ausdrücklich gegen den Bundesgerichtshof stellt, der diese Formulierung 2016 durchgewunken hat. Es bleibt abzuwarten, ob der BGH seine Auffassung nun ändert.
In jedem Falle ist zu raten, Darlehensverträge zwischen Juni 2010 und März 2016 eingehend zu prüfen. das Urteil des EuGH dürfte eine gute Grundlage zu Gesprächen mit der Bank sein mit dem Ziel, aus langfristigen Darlehen früher herauszukommen und sodann die derzeit günstigen Zinsen in Anspruch zu nehmen.
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